Redebeitrag auf der Demonstration „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.
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Heute ist der 28. Januar 2012. Gestern vor mittlerweile 67 Jahren, ist das Konzentrationslager Auschwitz von der roten Armee befreit worden. Dieses Datum steht symbolisch für den Anfang vom Ende des deutschen Mordens, erzwungen durch die alliierten Soldat_innen. Eine Stunde Null hat es dennoch nie gegeben. Weder verschwand die deutsche Volksgemeinschaft über Nacht, noch die sie prägende Ideologie. Dass der heutige Massenwohlstand auf der Vernichtungspolitik der Nazis basiert, zeigt die Kontinuität am augenscheinlichsten. Nur ein paar Straßen weiter, in der Rothenbaumchaussee 19 steht bspw. ein arisiertes Haus, heute im Besitz der GEW, über dessen Rückgabe oder Verkauf immer noch gestritten wird. Auch fast 70 Jahre scheinbare Auseinandersetzung haben nicht dazu geführt, eine solche Rückgabe selbstverständlich werden zu lassen. Dieser Unwille kann in Deutschland jedoch nicht verwundern.
Die völkische Blut- und Bodenideologie ist immernoch wirkmächtig. Sie hat zwar einige Modernisierungen und Wandlungen über sich ergehen lassen, aber wenn es darauf ankommt, wissen alle Deutschen wer zum deutschen Kollektiv gehört und wer nicht. Zwar waren die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre geprägt von einer außenpolitischen Zurückhaltung. Der Nationalstolz wurde tabuisiert, der offene Antisemitismus unterdrückt. Er mußte sich nun in kryptischer Form äußern. Zudem entwickelte sich aus der Konfrontation mit den deutschen Taten der Schuldabwehrantisemitismus. Dennoch konnten andere Ideologieelemente ungebrochen weiterexistieren. Exemplarisch seien hier Antiziganismus und Rassismus genannt, deren Allgegenwärtigkeit sich nach dem Fall der Mauer in den Angriffen gegen sogenannte „Asylanten“ manifestierte. Denn spätestens mit der vielgeprisenen „Wiedervereinigung“ war Deutschland wieder wer. Das neue Nationalverständnis wurde von Mob und Politik festgezurrt. Während in Hoyerswerda, Mannheim und Rostock-Lichtenhagen die Bevölkerung auf der Straße wütete und in Lübeck, Mölln und Solingen nachts Molotov Cocktails in Wohnhäuser flogen, beschloss die große Mehrheit des Bundestages de facto die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Der marodierende Volksmob wurde so zum Opfer der öffentlich beklagten „Überfremdung“ stilisiert, die Pogrome damit gerechtfertigt.
Die militanten Nazis soll der Verfassungsschutz – natürlich neben den durch die Extremismusklausel gleichgesetzten Linken – im Sinne der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ im Zaum halten. Dass er allerdings nicht konsequent gegen rechte Strukturenvorgeht, liegt bereits in seiner Entstehung begründet. In antikommunistischer Motivation aufgebaut und besetzt mit alten NS-Kadern kann es nicht verwundern, dass dieser Zeit seines Bestehens vor allem gegen sogenannten „Linksextremismus“ anarbeitet.
Die postnazistische Normalität im heutigen Deutschland wird auch im Diskurs über das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus deutlich. So zum Beispiel beim Holocaustmahnmal in Berlin. Zur Feier dessen fünf Jährigen Bestehens machte der Historiker Eberhard Jäckel deutlich, was der Wert eines solchen Denkmals ist. Die Legitimierung von Politik: „In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal.“ Hier zeigt sich der Wunsch, als normalisierte Nation etwas für die Anstrengung der Läuterung zu bekommen. Die vorgebliche Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wurde zur Begründung des ersten Auslandseinsatzes der Bundeswehr gegen Serbien genutzt. Diesen Krieg führte Deutschland, wie der damalige Außenminister Joschka Fischer betonte „nicht trotz sondern wegen Auschwitz“. Diese Instrumentalisierung der Geschichte pointierte Stephan Grigat folgendermaßen: „Das passende Motto des, seinem Selbstverständnis nach wieder gut gemachten Deutschlands, könnte mittlerweile lauten: ‚Vergangenheitsbewältigung ist ein Meister aus Deutschland‘.“
Die Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass die Denkweise der Nazis bloss das zuende gedachte mehrheitsgesellschaftliche Unbehagen mit sogenannten „Ausländern” und der Forderung nach mehr deutschen Kindern ist, führt zu der Trennung zwischen guten Deutschen und bösen Nazis. Die rassistischen Angriffe erscheinen ihnen nicht aus der eigenen Gesellschaft resultierend, sondern als Einzeltaten einiger ewig Gestriger, Verwirrten oder Extremist_innen, von denen sich damit leicht abgewendet werden kann. Im Geschichtsbewusstsein der Nation wird das als „unschuldige Volk“ zum Träger der positiv besetzten deutschen Nation in den Zeiten der „Diktaturen“. Dies führt zu einer Weltsicht, in der die Nazis von heute lediglich als ein Unfall gesehen werden, der mit Arbeitslosigkeit, aufwachsen in der DDR, der dortigen „Frauenflucht in den Westen“ oder einem schlechten Elternhaus erklärt wird. Beispielhaft wird das in dem gerade anlaufenden, bereits preisgekrönten Film „die Kriegerin“ vorexerziert, der als Lehrfilm den Weg an die Schulen finden soll. Überflüssig wird dabei nicht nur die Reflexion auf den die Gesellschaft strukturierenden Alltagsrassismus, sondern auch das Erschrecken über den staatlich organisierten Rassismus in Ausländerrecht und Abschiebepraxis.
Das Fortbestehen der deutschen Gesellschaft verstellt jeden Gedanken an Versöhnung. Die deutsche Ideologie lebt fort, wird durch Nazis wie jenen, die sich im Nationalsozialistischen Untergrund organisierten wieder zur mörderischen Realität. Die Taten wurden sowohl von staatlichen Ermittlungsorganen als auch der Presse in rassistischer Weise zu Folgen von migrantischer Drogen- und Gangrivalität erklärt. Dies zeigt sich auch in der Bezeichnung der Taten als „Dönermorde“. Die Stimmen von Freund_innen und Angehörigen, die auf die nazistischen Umstände der Taten hinwiesen wurden nicht gehört. Ein Versagen auch der Linken, also uns. Entsprechend war die Anteilnahme der Mehrheitsgesellschaft. Die Morde wurden ignoriert oder als Anzeichen für Kriminalität unter „nicht-Deutschen“ gewertet. Als der Hintergrund der Taten bekannt wurde, fokussierte sich die Empörung auf die drei bekannten Haupttäter_innen und die Untätigkeit des Verfassungsschutzes.
Ohne eine grundlegende Kritik an deutschen Verhältnissen, kann aber das Problem der mordenden Nazis nicht bekämpft werden. Solange es Deutschland gibt, werden Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus integrale Bestandteile seiner nationalen Identität sein.
Kein Friede mit Deutschland und seinen Nazis. Deutschland abschaffen!