Und als wäre nichts gewesen… – »Endgültig« ist daran nichts!

Kritik an der Positionierung der Gruppe TOP zur deutschen Spezifik

Wie die Gruppe Theorie.Organisation.Praxis (i.F. TOP) aus Berlin anhand einer eigenwilligen Interpretation1 des Imagine There’s No Deutschland (i.F. Imagine)-Aufrufs2 »endgültige Anmerkungen zur These einer »deutschen Spezifik« nationaler Ideologie« abgeben möchte – und: wie dies einfach nicht gelingen will.

Das Imagine-Bündnis verfasste zur Demo am 03.10.11 in Bonn einen Aufruf gegen Deutschland und die Einheitsfeierlichkeiten. In diesem wurde ebenso die unspezifische Kritik des Nationalismus, die bis zum Relativismus getriebene Geschichtsvergessenheit oder die Mobilisierung einer linken Masse des UmsGanze! (i.F. UG!) – Bündnisses kritisiert. Das regionale Bündnis Friede.Freude.Eierkuchen? Gegen Einheitsfeier und NRW-Tag (i.F. Eierkuchen), welches die Demo vor Ort organisierte, wurde von einer UG!-Gruppe, dem Antifa AK Köln, dominiert – was sich auch an dem Teaseraufruf zeigte, der die seit Jahren kritisierten Theoreme wiederum versammelte. Als Antwort und Angriff auf das Imagine-Bündnis schob die TOP, ebenfalls Teil von UmsGanze!, einige projektive Annahmen zu antideutscher Kritik hinterher: Der Imagine-Aufruf unterstelle ein »spezifisch deutsches (…) Staatsprogramm«, einen »historisch durchhaltenden Nationalcharakter«, bzw. ein »durchhaltendes deutsches Wesen«, mittels dessen die »völkischen Motive« des deutschen Nationalismus erklärt würden – die TOP wirft den Autor_innen des Aufrufs also ernsthaft völkisches Denken vor.

Die TOP stürzt sich auf den von ihr eigens aufgebauten völkischen Pappkameraden, als hätte die antideutsche Linke nicht seit mehr als 20 Jahren auf den Begriff der deutschen Ideologie verwiesen, auf den sich auch die Autor_innen des Imagine-Aufrufs berufen. Sie meint, genau zwei simple Erklärungsmodelle ausgemacht zu haben, die sie in der Überschrift »Völkischer Nationalismus – Nationalcharakter oder ideologischer Reflex?« vorwegnimmt. Das Erklärungsmodell »Nationalcharakter« weist die TOP dem Imagine-Aufruf zu, obwohl darin nie die eine derartige Setzung vorgenommen worden ist: Die positive (unmögliche) Bestimmung dessen, was deutsch ist, können schließlich seit jeher nur Nationalist_innen jeglicher couleur vornehmen, die über »Rasse« oder »Abstammung« versuchen, diesen Begriff zu füllen. Was deutsch ist, lässt sich indes nur ex post und ex negativo feststellen, als die sich in den Vernichtungslagern materialisierte deutsche Ideologie. Vielmehr als der von niemandem vertretenen These des »Nationalcharakters« sei der völkische Nationalismus ein »ideologischer Reflex« auf »aktuelle Konfliktlagen und Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung«. »Völkisches Bewusstsein« sei »prekäre ideologische Aufhebung der unverstandenen Widersprüche und Bedrohungslagen kapitalistischer Vergesellschaftung hier und heute«. Nur das »hier und heute« bestimme also die »ideologischen Reflexe«, die zu Krisenzeiten mal so und mal so aus den Subjekten schießen. Denn der »Verweis auf Traditionen« sei schließlich »ein typisches Moment bürgerlicher Ideologie« – und mit dieser hat die TOP selbstverständlich nichts zu tun. Ganz offenbar bleiben so wichtige Kontinuitäten unbeachtet; ansonsten wären die Genoss_innen wohl auch in die Verlegenheit geraten, sich mit dem Fortwesen des Rassismus, des Antisemitismus, des Antiziganismus oder auch des Antiamerikanismus auseinanderzusetzen. Diese Phänomene entstehen schließlich nicht immer wieder neu in bestimmten »Bedrohungslagen«, sondern weisen eine lange Geschichte auf. Der Begriff des Postnazismus, der genau diese Geschichtlichkeit zu fassen versucht, wird plump als »antideutsches Volksvorurteil« abgetan, stattdessen werden »differenzierte Analysen über die gegenwärtige Zusammensetzung des deutschen Nationalismus« eingefordert, an der die TOP selbst scheitern muss. Denn: Ohne den Verweis auf die Entwicklung sich verfestigender oder verfestigter Motive, die der Imagine-Aufruf mit dem Begriff der Tradition oder der Kontinuität zu fassen versucht, ist der deutsche Nationalismus nicht zu beleuchten.

Nachdem im schon erwähnten Teaseraufruf3 des Eierkuchen-Bündnisses, dem glücklicherweise nie eine ausführlichere Version folgte, völkischer Nationalismus nur marginal Erwähnung fand – so war von »völkischen und reaktionären Freaks« die Rede – räumt die TOP in ihren »endgültigen Anmerkungen« immerhin ein, dass »der gegenwärtige deutsche Nationalismus von völkischen Motiven durchsetzt« sei. Der Nationalismus wird als »die prägende Ideologie der kapitalistischen Epoche« charakterisiert, was in dieser Bestimmtheit an Haupt- und Nebenwiderspruchsargumentationen erinnert. Die Erwartungshaltung, es würde sich eine scharfe Kritik des Nationalismus aus dieser konstruierten Zentralität ergeben, wird enttäuscht: Die Analyse bleibt reichlich stumpf. Wenngleich etwas verzweifelt betont wird, »antinationale Kritik« ignoriere, anders als fortwährend unterstellt, »keineswegs die besondere Geschichte und Struktur des deutschen Nationalismus«, zeugen ihre »Anmerkungen« lediglich von zweierlei: Ahistorizität und Unspezifik. Axiomatisch lässt sich ihre oben aufgeführte allgemeingültige Erklärung auf alle kapitalistischen Staaten in allen Zeiten übertragen. Wo schießen in der Krise schließlich nicht die Reflexe aus den Subjekten? Mittels der Erklärung der TOP wird aus Israel, Japan und Deutschland einerlei: kapitalistische Staaten. Ähnlich verhält es sich auch bei der von UmsGanze!-Gruppen oft verwendeten Phrase des »kapitalistischen Normalvollzugs«, der stets überall gleich zu sein scheint: Dieser UG!-Gemeinplatz suggeriert einen kapitalistischen »Basiszustand«, der von jeglichen Spezifika, wie Zeit, Ort oder etwa Entwicklung, abstrahiert. Die einzige vermeintliche Spezifik, auf die sich immer wieder aufs Neue geeinigt werden kann, ist die sogenannte »Standortlogik«, die seit Jahren zum festen Repertoire des Floskel-Baukastens von UmsGanze! gehört und regionale Unterschiede in der Produktion von Wert zu fassen versucht. Doch vermag auch dieser mit dem Anstrich der Spezifizierung versehene Begriff nicht, sich der Universalität zu entsagen: Diese Logik vollzieht sich als Grundmuster überall, wo sich kapitalistische Produktion ereignet und beschreibt einen reinen Ökonomismus. Somit ist auch dieser Begriff nicht geeignet, Gesellschaften als geronnene Geschichte zu begreifen und bleibt zur Benennung geschichtlicher Spezifik unnütz – davon abgesehen, dass er sich des Ableitungsmarxismus verdächtig macht, der Staat und Nation zum reinen Überbauphänomen stilisiert.

Gemäß der in ihrem Pamphlet aufgeführten Argumentation bildet die Aneinanderreihung der »hier« und »heute«, also die Addition einzelner unverknüpfter synchron-erfasster Ereignisse und Zustände ihren Geschichtsbegriff: Wie auf diesem Grund eine Relevanz »politischer wie intellektueller Kämpfe« begründet werden kann, bleibt mehr als fraglich. Solange Geschichte nicht diachron, d.h. als eine Entwicklung betrachtet wird, sondern nur aktuelle und vergangene Ereignisse bewertet werden, ohne diese in eine innere Relation zu stellen, lässt sich einer fortdauernden gesellschaftlichen Kritik kaum eine relevante Rolle zuweisen; abgesehen von ihrer Wirkung in der jeweiligen Situation. Trotz ihrer Geschichtsvergessenheit muss die TOP zugestehen, dass Deutschland sich durch eine »eigentümliche Geschichte« und sogar durch »eigentümliche Institutionen« auszeichnet – die Genoss_innen haben mehr als 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wirklich einiges gelernt!

Als sei dies alles nicht genug, liegt den »endgültigen Anmerkungen« ein äußerst gefährlicher, da undialektischer Ideologie-Begriff zugrunde, der in seinem Objektivismus unterschlägt, dass auch die Subjekte stets Ideologie (re)produzieren. Es stellt sich davon ausgehend bei UmsGanze! und TOP stets so dar, als seien die Subjekte ausschließlich Opfer staatlicher und kapitalistischer Herrschaft, die aus rein mechanischen Reflexhandlungen heraus Angriffe etwa auf Migrant_innen verüben. Zu Ende gedacht heißt dieser objektivistische Ansatz die Verbrechen des deutschen Täter_innenkollektivs zu entschulden, mordenden Deutschen einen Opferstatus zuzubilligen – denn: waren diese nicht auch Opfer kapitalistischer Verhältnisse und Krisen, und verfielen geradezu zwangsläufig den sogenannten autoritären Krisenlösungsstrategien? Die »ideologischen Reflexe«, die die TOP attestiert, verneinen jede Freiheit und beschwören die Determination, anstatt sich in den Versuch der Vermittlung zu wagen. Fehlendes geschichtliches Denken und fehlende Spezifik auf der einen, sowie fehlende Subjekte auf der anderen Seite sind somit der Grund für die Unhaltbarkeit ihres Ansatzes der »Reflexe«.

Als äußerst bitter ist der Versuch der TOP zu werten, sich mit dem Verweis auf »die traurige Realität des völkischen Nationalismus in anderen Ländern« der Auseinandersetzung mit den deutschen Zuständen zu entziehen; eine deutsche Linke, die zum »Tag der deutschen Nation« bevorzugt von anderen Nationalismen spricht, anstatt alle ihre Finger in deutsche Wunden zu legen, zeugt von der Omnipräsenz hegemonialer »Vergangenheitsbewältigung« und Geschichtsklitterung. Die intendierte argumentative Spitze, der Hinweis darauf, dass »derzeit andere Nationalismen sogar deutscher als der hiesige« seien, zeigt nur einmal mehr, dass eine Auseinandersetzung mit antideutschen Positionen, eine Auseinandersetzung mit dem Komplex deutscher Ideologie, warum auch immer, nicht stattgefunden hat; ansonsten hätten die Genoss_innen feststellen können, dass dieser nie auf irgendeine der historischen geographischen Grenzen Deutschlands beschränkt worden ist – warum auch? Der implizit formulierte Vorwurf des völkischen Denkens, das Imagine-Bündnis würde ein imaginiertes Volk, »die Deutschen« kritisieren (und nicht Deutsche als handelnde Träger_innen deutscher Ideologie) läuft stetig in die Leere. Ebenso bitter ist die Ausschließlichkeit, mit der die TOP in ihren »Anmerkungen« argumentiert: So ereilt sie in der Frage um die 1-Euro-Jobs die – einer göttlichen Erleuchtung gleichkommende – Erkenntnis, dass der Zwang zur Arbeit »in Wahrheit« nur eine »relativ späte Kopie des angelsächsischen Workfare-Prinzips« sei. Damit schließen die Genoss_innen aus, dass dieses moderne Modell des Arbeitszwanges mit deutschem Arbeitswahn etwas zu tun hat: Es ist und bleibt anscheinend ein unmögliches Denkexperiment, dass eine repressive Struktur auch gleichzeitig aus verschiedenen Handlungsmotivationen gebildet werden kann. Nachdem die TOP auf ihrer Suche nach der »Wahrheit« nun aber bereits erfolgreich war, ist dies selbstverständlich überflüssig.4

Der Aufruf an die Leser_innen, der kurz vor Ende der »endgültigen Anmerkungen« quasi als Fazit fungiert, schließt die Kritik an der von niemandem geäußerten Position und die eigenen Versuche, eine deutsche Spezifik zu negieren, auf einem Höhepunkt der Widerlichkeit ab: Statt »Auschwitz als politisches Mantra einzusetzen«, sollte lieber auf die »aktuellen killing-fields« der »dumpfen Brutalität des Kapitalismus im Weltmaßstab« eingegangen werden. Was hier an die »Auschwitzkeule« erinnernd vor sich hin walsert, stellt den kategorischen Imperativ Adornos auf den Kopf: Dieser sei nämlich »universalistischer Apell zu antikapitalistischer Praxis«. Als hätte der Massenmord an Jüdinnen_Juden, Sinti und Roma und den anderen Opfern des deutschen Täterinnenkollektivs aus Gründen der Mehrwertproduktion stattgefunden, wird Auschwitz in ein linkes Standard-Erklärungsschema der Ausbeutung integriert, die Singularität damit abgesprochen und schließlich mit Blick auf die »killing-fields« in der Welt relativiert. Here we go again linker Geschichtsrevisionismus.

  1. TOP Berlin: »Imagine there’s no countries/ it isn’t hard to do/ … – Here we go again. Endgültige Anmerkungen zur These einer „deutschen Spezifik“ nationaler Ideologie« http://top-berlin.net/?p=313#more-313
  2. Imagine-Bündnis: »Imagine There’s No Deutschland« http://imaginenodeutschland.blogsport.de/images/2011_aufruf_3_10_einzelseiten.pdf
  3. Bündnis gegen Einheitsfeierlichkeiten und NRW-Tag 2011: »Teaseraufruf – Friede, Freude, Eierkuchen?« http://friede-freude-eierkuchen.net/files/buendnis-teaser.pdf
  4. Bei Gelegenheit erbittet sich das Imagine-Bündnis einen Hinweis, welches Orakel sich in Fragen der »Wahrheit« als besonders zuverlässig erwiesen hat.