Statement zu „Antifa heißt Abschiebung“ und „importiertem Antisemitismus“

Seit der letzten Eskalation des Nahostkonfliktes kam es auch in Deutschland bei propalästinensischen Demonstrationen zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen. In Gelsenkirchen skandierten Demonstrierende vor der Synagoge Parolen wie „Scheiß Juden“, in Flensburg kam es zu einem körperlichen Angriff auf einen proisraelischen Aktivisten und in ganz Deutschland fanden zum Nakba-Tag Versammlungen statt, bei denen Demonstrierende u.a. shoarelativierende Plakate mitführten.

„Was soll‘n die Nazis raus aus Deutschland? Was hätte das für einen Sinn? Die Nazis können doch net naus, denn hier jehörn se hin“ – Goldene Zitronen

 

Statt solche Ausfälle als Anlass für eine gründliche Auseinandersetzung mit dem virulenten Antisemitismus in Deutschland zu nehmen, entbrannte eine rassistisch geführte Debatte über „importierten Antisemitismus“ unter Migrantisierten und deren vermeintlich gescheiterte Integration. Nicht nur in den Blättern des Springer-Verlages wurden Forderungen laut die bisherige Integrationspolitik und die ach so große Toleranz auf den Prüfstand zu stellen. Die Linkspartei Osnabrück-Land postete auf Facebook: „Ehrlich machen heißt zugeben: Wir haben Antisemitismus importiert“ und griff damit die rassistische Erzählung der AfD auf, die seit Jahren behauptet, dass erst mit der Aufnahme muslimischer Geflüchteter der Antisemitismus in Deutschland zu einem wachsenden Problem geworden sei. Der Instagram-Account der rechtsantideutschen „Ideologiekritischen Aktion“ hatte „Antifa heißt Abschiebung“ gepostet und befand sich damit ganz auf Linie des rechtskonservativen CSU-Innenministers von Bayern, Joachim Hermann, der ebenfalls die Abschiebung von antisemitischen Migrant*innen forderte.

Während der Antisemitismus der Islamist*innen, der arabischen oder türkischen Nationalist*innen dieser Tage auf propalästinensischen Demonstrationen natürlich als offensichtliches und manifestes Problem zu bekämpfen ist, ist die Debatte um den „importierten Antisemitismus“ aus verschiedenen Gründen zu kritisieren. Die Rede vom „importierten Antisemitismus“ ist durch Schuldabwehr charakterisiert und darüber hinaus rassistisch. In dem Nachfolgestaat des sog. Dritten Reiches, dem wiedergutgewordenen Deutschland, externalisiert die weiße deutsche Dominanzgesellschaft das Problem des Antisemitismus, indem sie diesen lediglich bei Migrantisierten identifiziert. So entledigt sich diese Dominanzgesellschaft nicht nur ihrer mörderischen Geschichte, sondern verschleiert auch die antisemitische Realität in Deutschland, zu der neben den zahlreichen antisemitischen Demonstrationen aus dem Spektrum der Querdenker*innen-Bewegung in der jüngeren Zeit auch gehört, dass laut Befragungen mehr als ein Viertel der Deutschen der Aussage zustimmt, Jüdinnen und Juden hätten zu viel Macht in der Weltpolitik. Es ist diese diskursive Realität des Antisemitismus, die antisemitische Täter*innen bestärkt und in der antisemitischer rechter Terror, wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle oder der Angriff auf einen Juden vor der Hamburger Synagoge im letzten Jahr, seinen Ausgang hat. In diese gesellschaftliche Realität sind auch die migrantisierten Antisemit*innen – anders als Integrationsdebatten dieser Tage es suggerieren – hervorragend integriert. Die Rede vom „importierten Antisemitismus“ lässt dabei natürlich auch außer Acht, dass – wie etwa Mathias Küntzel wiederholt hervorhob – der deutsche Nationalsozialismus (wie auch der britische Imperialismus) seinen spezifischen Antisemitismus exportierte, im Nahen Osten verbreitete und mit dem muslimischen Antijudaismus zu synthetisieren suchte.

Deutschland muss seinen Antisemitismus nicht importieren. Er ist nicht nur genuines deutsches Kulturgut, sondern wurde gar in seiner völkischen Form aus Deutschland in die Welt exportiert. Bei aller Sensibilität für die zahlreichen unterschiedlichen Spielarten des Antisemitismus, ist es vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Täter*innenschaft, der deutschen Verantwortung für die Shoa und dem aktuell auch in der Dominanzgesellschaft grassierenden Judenhass selbst eine subtile Form des Antisemitismus diesen nicht als gesamtdeutsches Problem zu begreifen und nur in (vermeintlich) migrantischen Communities zu sehen.

Die Forderung nach der Ausweisung von „antisemitischen Migranten“ ist darüber hinaus problematisch: Nicht nur weil es sich bei den zu „Ausländern“ gemachten Antisemit*innen häufig um Menschen mit deutschem Pass handelt, deren Vorfahren seit mehreren Generationen in Deutschland leben und deren Abschiebung schon rein rechtlich betrachtet nicht möglich wäre. Sie richtet sich auch nur gegen Menschen, die – ob Staatsbürger*innen oder nicht – nicht als Teil der weißen deutschen Dominanzgesellschaft verstanden werden und ist damit eine als Solidarität mit Jüdinnen und Juden daherkommende rassistische Forderung. Selbst wenn – ganz im Sinne der Zuspitzung der Parole „Nazis raus!“ – die Abschiebung von Antisemit*innen möglich wäre, handelte es sich dabei um eine Forderung, die außer Acht lässt, dass Antisemit*innen, auch wenn sie nicht mehr in Deutschland wirken, Antisemit*innen bleiben und antisemitisch handeln. Ein politisches Problem löst sich nicht, indem man es aus seinem Sichtfeld entfernt.

Der Kampf gegen Antisemitismus darf nicht rassistisch geführt werden. Antisemit*innen gilt es dort entgegenzutreten, wo man ihnen begegnet. Ebenso wie ein konsequenter politischer Umgang es erforderte die gesellschaftlichen Verhältnisse so einzurichten, dass sie nicht weiterhin antisemitische Subjekte produzieren.