Keine Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Anfang 2008: In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gibt es heftige Auseinandersetzungen, weil die Gedenkstättenleitung einen Bundeswehrsoldaten als Guide eingestellt hat. Dieser sollte Schulklassen und andere Besucher_innen, aber auch seine „Kamerad_innen“ in der Gedenkstätte herumführen. Ein deutscher Soldat, der andere deutsche Soldat_innen durch eine KZ-Gedenkstätte führt? Neben der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme (AGN) und dem internationalen Überlebendenverband Amicale wehrten sich Viele, die schon lange als Guides in der Gedenkstätte aktiv sind, gegen diese untragbare Personalentscheidung. Als Teil einer interessierten linken Öffentlichkeit meldeten wir uns im Mai 2008 mit einem eigenen Flugblatt zu dem Thema zu Wort, dass auf einer Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte verteilt wurde.

Bundeswehr in KZ Gedenkstätte Neuengamme

Keine Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Heute möchten wir zusammen mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer an die Verbrechen erinnern, die im Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern von Deutschen begangen wurden.

Wir verstehen diesen Tag als einen Tag, um sich der Opfer zu erinnern und sich der Verantwortung, die mit dieser Erinnerung einhergeht, zu stellen. Aus dieser Verantwortung heraus erscheint es uns aber auch notwendig, einen Blick auf die Entwicklung des Gedenkens in Deutschland und insbesondere dieser Hamburger Gedenkstätte zu werfen.

Die Geschichte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme war zu jeder Zeit geprägt von politischen Auseinandersetzungen um ein würdiges Gedenken. Erinnert sei daran, dass ohne den politischen Druck der Überlebenden, ihrer Verbände, Angehörigen und Freunde, dieser Ort nie gänzlich zur Gedenkstätte hätte werden können. Erst im Jahr 2006 wurde das letzte der beiden hier stehenden Gefängnisse abgerissen, von denen eines ursprünglich auf der Grundlage der früheren Baracken errichtet wurde.

Auch eine späte juristische Aufarbeitung des NS-Unrechts gegenüber Roma und Sinti konnte nur aufgrund einer vorhergehenden politischen Intervention erreicht werden: 1983 initiierte die Hamburger „Rom & Cinti Union“ einen Hungerstreik auf dem Gelände der Gedenkstätte, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.

In Deutschland mußte ein Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen immer politisch erstritten und verteidigt werden. Dies zeigt sich erneut am Normalisierungsdiskurs, der seit einigen Jahren in politischen Debatten um die Rolle Deutschlands und speziell der Bundeswehr Einzug gehalten hat. Es scheint mittlerweile wieder völlig akzeptiert zu sein, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten weltweit für „deutsche Interessen“ Krieg führen. Dafür wird perfiderweise sogar die „deutsche Verantwortung“ als Begründung herangezogen, so dass „wegen Auschwitz“ Krieg geführt werden kann.

Eine deutsche Armee ist nicht nur im Sinne der Wiederbewaffnung Deutschlands prinzipiell ein Problem. Die Bundeswehr im besonderen hat auch jene Brüche nicht vollzogen, die notwendig gewesen wären, wollte sie ihrem Selbstbild der geläuterten „Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in Uniform“ gerecht werden.

Personelle Kontinuitäten von Wehrmacht und Bundeswehr auf allen Ebenen, bis heute anhaltende Benennungen von Kasernen nach NS-Generälen und das gemeinsame „Gedenken an gefallene Kameraden“ von Wehrmachts- und Bundeswehreinheiten, wie beim Gebirgsjägertreffen im bayrischen Mittenwald sind nur bezeichnende Beispiele für eine größtenteils bruchlose Kontinuität.

Gerade aus diesem Grund halten wir die derzeitigen Entwicklungen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme für äußerst problematisch. Nicht nur, dass eine gemeinsame Konferenz der Gedenkstätte und der Bundeswehruniversität veranstaltet wurde, nicht nur, dass regelmäßig der unerträgliche Anblick uniformierter deutscher Soldatinnen und Soldaten, die an Führungen teilnehmen, in der Gedenkstätte zu sehen ist, nun sollte nach dem Willen der Gedenkstättenleitung ein Soldat als Pädagoge in der Gedenkstätte eingesetzt werden und auch Führungen beispielsweise von Schulklassen über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers übernehmen. Es ist nahezu unvorstellbar, dass ein deutscher Soldat, als Mitarbeiter einer Gedenkstätte, die sich im Gegensatz zu einem Museum einer politischen Verantwortung verpflichtet fühlen muss, wirken darf. Ein deutscher Soldat, zu dessen Pflichten es im Zweifel gehört, auf Befehl zu töten, kann sich niemals der Losung „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ verpflichtet fühlen. Es erscheint überdies unmöglich, dass Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die auf Unterordnung und Gehorsam getrimmt wurden, ernsthaft die Notwendigkeit von Selbstbestimmung und Autonomie gegenüber hierarchischen Kollektiven vermitteln können.

Wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten halten es für unerläßlich, dass sich die Gedenkstättenleitung aufgrund einer politischen Einsicht konsequent gegen die vorherrschenden Normalisierungsdiskurse wendet und deshalb kritisch Einspruch erhebt gegen die Zusammenarbeit von Gedenkstätte und Bundeswehr; gegen die Beschäftigung von Soldatinnen und Soldaten in der Gedenkstätte. Wir verstehen die Gedenkstätte als einen Ort des würdigen Gedenkens, als einen politischen Ort für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Wurzeln, als einen Ort gegen das Vergessen.

In diesem Sinne fühlen wir uns dem Schwur der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald verpflichtet:

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

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