Bildungsstreik, gelbes Spektakel: Kick für den Augenblick?

Sommer 2009. An der Hamburger Uni protestieren Studierende im Rahmen des „Bundesweiten Bildungsstreiks“, blockieren Pferdestall, Ex-HWP und PI und äußern ihre Vorstellung einer Kritik an der aktuellen Bildungspolitik. Da sous la plage sich 2005 aus der Kritik an einer ähnlichen Studi-Streikbewegung („Summer of Resistance“) entwickelt hat, möchten wir erneut in die universitären Protestbewegungen intervenieren. Erstaunlich dabei finden wir, wie aktuell uns unser vier Jahre altes Flugblatt in der erneuten Diskussion immer noch zu sein scheint. Das Flugblatt von 2005 findet ihr hier.

2009 bildungsstreik

Bildungsstreik, gelbes Spektakel: Kick für den Augenblick?

Kritische Randglossen zum „Bundesweiten Bildungsstreik 2009“

Im Sommersemester 2009 gab es mit dem „Bundesweiten Bildungsstreik“ das erste Mal seit Jahren wieder deutlich wahrnehmbare Proteste an den deutschen Universitäten, die sich auch mit Protesten an Schulen und Kindergärten verbanden. Wunderbar! Studierende nehmen sich wieder den Raum, über die eigene Situation nachzudenken und Kritik zu äußern. Zustände zu hinterfragen, sich zu politisieren, zu organisieren und mal ordentlich Rabatz zu machen kann nie schaden. Ohne Frage sind die deutschen Universitäten in einem erbärmlichen Zustand: Strukturen werden entdemokratisiert, das Studium mit Bachelor- und Masterstudiengängen verschult und allgemein der Leistungsdruck auf Studierende erhöht. Auch wir haben vor einigen Jahren aktiv an Studierendenprotesten gegen die damals schon schlechten Studienbedingungen teilgenommen und haben uns zunehmend kritisch mit den Forderungen der damaligen Protestbewegung auseinandergesetzt. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass es immer darauf ankommt, welche Inhalte geäußert und wie diese in die Öffentlichkeit getragen werden. Beim „Bildungsstreik“ sind unserer Ansicht nach viele der Inhalte genau so verkürzt, widersprüchlich und fragwürdig wie im damaligen „Summer of Resistance“, weshalb wir erneut mit einer Kritik zu Diskussionen anregen wollen.

Wie jede Protestbewegung, die sich der öffentlichen Wirksamkeit wegen möglichst breit aufstellt, hat sich der Bildungsstreik auf eine mediengerechte, einwöchige Aktionsform konzentriert und diese unter einen schwammigen Minimalkonsens gesetzt („Mit dem Bildungssystem ist doch irgendwie irgendwas nicht in Ordnung!“). Eine gemeinsame Kritik an den Zuständen hatte diese „Bewegung“ zu keinem Zeitpunkt. Von der Linksradikalen, die endlich den Kommunismus will, bis hin zum Marktgläubigen, dem der Bildungsstandort BRD am Herzen liegt, konnten hier alle mitmachen. Der inhaltliche Pluralismus bedeutete zumeist nur inhaltliche Leere. Nach außen wurde auf bunte Masse, identitäre Gelbfront und „kreative Aktionen“ gesetzt. Anstatt eine radikale Kritik an sozialen Verhältnissen zu äußern, wurden scheinbar pragmatische Forderungen wie „Weg mit Studiengebühren!“ oder „Masterstudiengänge für alle!“ an Runden Tischen gestellt und dabei suggeriert, die Regierenden hätten bei den Hochschulreformen der letzten Jahre nur nicht richtig nachgedacht. Radikale Kritik wird verunmöglicht, wenn der Protest als Appell an die Herrschenden gerichtet wird, auch wenn es naheliegend sein mag, Verbesserungen der eigenen Lebensumstände zu fordern. Dass der derzeitige Umbau des Bildungssystems nur konsequent der üblichen kapitalistischen Logik folgt und zudem in langfristige internationale Projekte wie den Bologna-Prozess eingebunden ist, wurde zum Beispiel unzureichend reflektiert. Denn es wurde immer so getan, als könnten diese Entwicklungen jetzt in Hamburg oder Deutschland durch ein besseres Regierungshandeln komplett umgekehrt werden. Eine grundsätzlich andere Bildungspolitik, die sich vor allem an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet, ist aber unter den sozialen Verhältnissen von Staat, Nation und Kapital nicht möglich.

In Hamburg zeigte sich die Kurzsichtigkeit des Protest vor allem an der Zuspitzung der Kritik auf die Unipräsidentin Monika Auweter-Kurtz. Diese wurde in typisch patriarchaler Logik als „Raketen-Moni“ lächerlich gemacht und zur allgemein Schuldigen erklärt. Klar ist es eine gute Sache, wenn eine Hardlinerin wie Auweter-Kurtz zurücktreten muss. Aber es ist auch nach ihrem Rücktritt nicht zu erwarten, dass der_die nächste Unipräsident_in den Reformprozess aufhalten wird. Hat irgendwer von denen, die „Moni zum Mond“ gefordert oder „Hupen gegen Moni“ veranstaltet haben, das ernsthaft geglaubt? Personifizierte Kritik macht blind für die strukturellen Hintergründe der Zustände an den Universitäten. Uni war nicht bis vor Kurzem ein Hort der Aufklärung und der Freiheit und ist nicht erst durch „neoliberale Reformen“ ruiniert worden.

Völlig abwegig wurden vor diesem Hintergrund die Inhalte des Bildungsstreiks, wenn versucht wurde, allgemein gesellschaftskritische Forderungen zu formulieren. Der Bildungsstreik trete „für ein gerechtes, demokratisches und humanistisches Bildungssystem ein, welches sich am Menschen und nicht an der Ökonomie orientiert“, ist auf einem Flugblatt zu lesen. Kein Wort davon, dass diese Ideale unter dem Umständen kapitalistischer Vergesellschaftung völlig unerreichbar sind, weil der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft stets nur als Mittel zum Zweck und als auszubeutende Arbeitskraft eine Rolle spielt. Kein Wort davon, dass Bildung stets ein Privileg der Reichen war und schon immer vor allem der Reproduktion von Eliten diente. Es kann in dieser Gesellschaft keinen Ort geben, der sich vollständig dem allgemeinen Zwang zur Kapitalverwertung entziehen könnte. So zeigt sich, dass innerhalb des Bildungsstreiks ein verklärtes Bild von der Rolle der Universität in der Gesellschaft ebenso vorherrscht wie ein verkürztes Bild vom Kapitalismus als Verschwörung einiger Mächtiger. Diese sollen dann kritisiert, mit Argumenten umgestimmt oder am besten gleich überfallen werden, weil das Böse am Kapitalismus ja so schön einfach in der Bank zu lokalisieren ist. „Die Commerzbank hat deine Studiengebühren“, „Der Staat schützt die Banken anstatt die Bildung“: Solche Parolen erwecken bei uns den Eindruck, dass weite Teile der Protestbewegung von den herrschenden Verhältnissen keinen blassen Schimmer haben. Selbstverständlich werden die Banken gerettet, weil es bei denen ein Verwertungsinteresse gibt, im Gegensatz zu möglichst vielen glücklichen und kritischen Studierenden in den Geistes- und Kulturwissenschaften – wundert das eigentlich irgendwen?

Am deutlichsten zeigte sich diese verkürzte Kritik auf dem Flyer für den „antikapitalistischen“ Block auf der großen Bildungsdemo. Hier hieß es zwar „hate the game and not the player“, dann aber wurde der Feind doch durch ein Monopoly-Männchen mit Zylinder symbolisiert, das von einem sportlichen Antifa-Macker umgetreten wird. Das ist alles mögliche, aber sicher nicht emanzipatorisch. Ebenso wenig wie die durchgeknallten Stalinfans und Volksbefreier von der „Sozialistischen Linken“ (SoL), die für den Bildungsstreik einen Demoblock organisieren durften, anstatt von allen Plenas zu fliegen.

Sollten die Aktivist_innen des „Bildungsstreiks“ ihre Forderungen nach einer besseren Bildung ernst meinen, dann müssten sie die Änderung des sozialen Ganzen fordern, anstatt sich auf Hamburg oder Deutschland beschränkt der Illusion hinzugeben, dass der Bologna-Prozess aufzuhalten wäre oder dass ein Studium in der bürgerlichen Gesellschaft den Sinn habe, „aufgeklärte, kritisch denkende und qualifizierte Absolventen hervorzubringen“. Numerus clausus und der strukturelle Ausschluss etwa von unterprivilegierten, behinderten oder nichtweißen Menschen wären ebenso zu skandalisieren, wie offen und ehrlich zu sagen wäre, dass die eigenen Vorstellungen von einem guten Leben nur in einer gänzlich anderen Gesellschaft verwirklicht werden könnten. Politische Proteste an der Uni müssten ein Raum für Diskussion und Nachdenken sein, für Selbstermächtigung und Aufbegehren. Und sie sollten statt braver Demos lieber ordentlich krachen, allerdings mit dem klaren Bewusstsein, dass sich Gesellschaft nicht über Nacht und nicht durch die Eingriffe der Herrschenden zum Besseren ändert. Andernfalls bleibt die eigene Kritik in der herrschenden Logik gefangen. Eine Woche des gelben Ausnahmezustands ist vielleicht ganz nett – mit emanzipatorischer Kritik und Praxis hat dieses Spektakel allerdings wenig zu tun.

sous la plage im Juli 2009