Solidarität mit den Geflüchteten in Ellwangen!

Nach einem erfolgreich abgewehrten Abschiebeversuch in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen am 30.04., bei dem sich etwa 30-40 Migrant_innen spontan mit einem Mann solidarisierten, der nach Italien abgeschoben werden sollte, wurde in Deutschland eine neue Welle rassistischer Forderungen losgetreten.

Sie markiert einen weiteren Meilenstein in der Formierung autoritärer Sehnsüchte und verspricht einen Vorgeschmack darauf, in welche Richtung die nächste Runde Asylrechtsverschärfungen gehen werden. Wir wollen uns ausdrücklich mit den Betroffenen rassistischer Gewalt aus Ellwangen solidarisieren und hier einige Schlaglichter auf die aktuelle Gemütslage in Kaltland werfen.

Drei Tage später fielen mehrere Hundertschaften maskierter Polizist_innen unter Beteiligung von bewaffneten Spezialeinheiten am frühen Morgen in der LEA ein, um demonstrativ den eigenen Hoheitsanspruch zu re-installieren. Wie einige Betroffene berichten traten sie dabei Türen ein, die nicht abgeschlossen werden können, bedrohten, schlugen und demütigten die Bewohner_innen. Einigen wurden außerdem ihre Ersparnisse geraubt.

Polizeimeldung im Wortlaut

Im Anschluss verbreitete die bundesweite Presse im Wortlaut die Polizeimeldungen, die mit Dramatisierungen und gezielten sprachlichen Verwischungen ein Szenario kolportierten, das wenig mit der Realität zu tun hatte, dafür aber zahlreiche Flanken in Richtung einer rassistischen Narration bot. Da wurde aus der Unterstellung von „aggressivem und drohenden Verhalten“ die Überschrift „Abschiebung aus der LEA mit Gewalt verhindert“. Die solidarischen Strukturen, die sich unter den Bewohner_innen gebildet hatten, wurden in die Nähe von Bandenbildung gerückt und die Mär von ihrer geplanten Bewaffnung in die Welt gesetzt. Dass keine Waffen gefunden wurden und niemand hinterher einen hinreichenden Verdachtsmoment dafür benennen konnte, wie Christian Jakob für die taz recherchierte, interessierte überregional natürlich niemanden. Die Welle der Empörung war losgetreten.

Autoritäre Verschiebung

CDU-Politiker Armin Schuster sah durch ‚fehlenden Integrationswillen‘ bei den Betroffenen aus Ellwangen das ominöse ‚Gastrecht‘ verwirkt, das schon Sara Wagenknecht insinuierte. Es entstammt nicht dem deutschen Asylgesetz, wie Maximilian Pichl betont, sondern leitet sich als zur Vokabel geronnenes Schulterklopfen von der nationalen Erzählung der Willkommenskultur ab. Schuster fabulierte weiter von „roten Linien in unserem Rechtsstaat“, die „mittlerweile beinahe täglich von Asylbewerbern vorsätzlich überschritten werden“. Dass die roten Linien Gesetze heißen und nicht nur beinahe, sondern ziemlich sicher täglich, von irgendwelchen Kartoffeln überschritten werden, offenbart den doppelten Maßstab, der hier angelegt wird. Auch Heimathorst Seehofer wusste schnell, dass die Ereignisse in Ellwangen vor allem „ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“ darstellen. Hier also die Geflüchteten, die den deutschen Rechtsstaat missachten, und auf der anderen Seite die guten und rechtsstaattreuen Deutschen. Im Ruf von Rainer Wendt, seines Zeichens Chef-Einpeitscher von der DPolG, nach sofortiger Inhaftierung, negativen Asylbescheiden und beschleunigten Abschiebungen für die Betroffenen aus der LEA, werden die Prinzipien des eben noch beschworenen Rechtsstaats unmittelbar über Bord geworfen. Zumal er es ja bekanntermaßen selber mit diesen Prinzipien nicht allzu genau nimmt. Derweil beklagte der CSU-Vorsitzende im Bundestag Alexander Dobrindt lautstark eine angebliche „Anti-Abschiebe-Industrie“, die mit dem ausschöpfen von Rechtsmitteln den Rechtsstaat sabotieren würde und lässt so erahnen, welche Stellschrauben des Asylrechts als nächstes angezogen werden sollen. Rechtsstaat nur für Deutsche – finde den Fehler.

In einem Kommentar für die Berliner Zeitung fabulierte André Mielke gleichzeitig in Ellwangen beginne der Wilde Westen. Seine Wiedergabe der Geschehnisse am 30.04. schmückte er ganz nach theatralischem Gusto aus. Die Polizist_innen hätten sich bedroht gefühlt und verschanzt, woraufhin „die Aufständischen dann das Ultimatum [sandten], dem Delinquenten sofort die Handschellen abzunehmen“ und mit der Erstürmung der Pförtnerloge drohten. Um seine geifernden Leser_innen auf dem erfundenen Spannungsbogen in Richtung seines Finales mitfiebern zu lassen, händigen die Polizist_innen in Mielkes Groschenroman daraufhin den Schlüssel aus. „Drei Tage später siegten dann doch die Guten“ schließt er seine frei erfundene Version. Den „Showdown“ fände er für eine Western-Schmonzette „in Ordnung“, gibt er dann noch gönnerhaft zu Protokoll, aber im echten Leben hätten sich auch Geflüchtete an Recht und Gesetz zu halten und es gäbe nun mal kein „unveräußerliches Menschenrecht, in Deutschland zu leben und von dessen Bevölkerung versorgt zu werden.“

Mielkes Kommentar zeigt exemplarisch, wie die Ereignisse im bundesdeutschen Bewusstsein gedeutet werden. Ein Akt des zivilen Ungehorsams wird da zu einem Angriff auf den deutschen Rechtsstaat verklärt, mit dem Autoritäre jeglicher Couleur – ob Schuster, Heimathorst, Wendt, Dobrindt oder Andere – wie schon erwähnt sowieso einige Verständnisschwierigkeiten haben. Nicht Gewaltenteilung, individuelle Rechte und rechtsstaatliche Verfahren gelten ihnen als schützenswert, sondern, wie Maximilian Pichl feststellt, sie begreifen den vielbeschworenen Rechtsstaat lediglich als eine Anwendungsmaschine zur Durchsetzung der Staatsgewalt.

Anders als den Fernseh-Banditen, die der Staatsgewalt zwar am Ende unterliegen müssen, deren Opposition aber nicht weiter in Frage gestellt wird, ist die Empörung jetzt groß, dass es einige Geflüchtete überhaupt gewagt haben sollen, sich dem deutschen Staat zu widersetzen. Hinter dem rechtsstaatlichen Siegel der Abschiebebescheide verschwindet die Gewalt, welche sich dabei gegen rassistisch markierte Menschen richtet. Wie können es Migrant_innen wagen sich der rassistischen Gewalt gegen sie nicht stillschweigend zu fügen?

Rassistische Hybris

Dieses Sentiment ist das aktuelle Vehikel für die rassistische Hybris mit der sich die Deutschen derzeit als gütiger und strafender Herrscher gerieren. Das national identitätsstiftende Narrativ von der Willkommenskultur legitimiert dabei gleichzeitig die rigorose Aussortierung von Menschen an den Grenzen und in den Lagern, die strukturelle Gewalt gegenüber Geflüchteten, sowie die Abschiebemaschinerie und Asylrechtsverschärfungen. Man habe Zuckerbrot verteilt, dann schwinge man jetzt berechtigter Weise mit der Peitsche. Aus der Empörung über die Versuche sich der rassistischen Gewalt zu widersetzen spricht die Erwartung des Gehorsams gegenüber dem deutschen Herrenmenschen. Der Flüchtling hat zu kuschen, stellt Simon Berninger in der Frankfurter Rundschau dazu fest.

„Frust über eine mangelnde Bleibeperspektive rechtfertigt keine Gewalt“ stimmte der langjährige Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, in den Kanon mit ein, in völliger Ignoranz der Tatsache, dass gar keine Gewalt von den Geflüchteten in Ellwangen ausging.

Dennoch sagen wir, ein rassistisches System aus Lagern, Sondergesetzen und Abschiebe-Kommandos, das Menschen in Armut, Folter und Entrechtung zwingt, rechtfertigt sehr wohl Widerstand mit allen Mitteln!

Eine Gesellschaft, die rassistische Mobs hervorbringt, sie offen gewähren lässt, verharmlost und in Schutz nimmt, rechtfertigt Widerstand mit allen Mitteln!

Behörden, die rechte Terrornetzwerke aufbauen, ignorieren, decken, runterspielen und davonkommen lassen, rechtfertigen Widerstand mit allen Mitteln!