Die Scholle ins Wanken bringen!

Text der Gruppe sous la plage zur aktuellen Pogromstimmung in Deutschland am Beispiel Heidenau und Möglichkeiten antifaschistischer Intervention.

Zur aktuellen Pogromstimmung in Deutschland

Die Bilder gleichen sich, wie die Regionen aus der sie uns erreichen: Tröglitz, Freital, Heidenau. Von Mal zu Mal scheint das Ziel näher zu rücken, es der Vorgänger_innen-Generation aus Rostock-Lichtenhagen gleich zu tun.
In Sachsen tobt der Volksmob zur Zeit besonders zahlreich und ausgelassen. Durch die Aufmärsche der Pegida-Bewegung kann sich die sächsische Bevölkerung ihrer rassistischen Gesinnung allwöchentlich vergewissern. Es ist zwar nicht der einzige Schwerpunkt rassistischer Gewalt in Deutschland: Berlin/Brandenburg, Thüringen, Bayern, Dortmund sind ebenfalls Hotspots. Dennoch kommen die krassesten Beispiele deutscher Mobbildung aus Sachsen, das schon seit den 1990ern bekannt für die enge Vernetzung und hohe Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene ist. Seit Beginn der 00er Jahre hat sich zudem eine besonders reaktionäre CDU-Landesregierung einen Namen gemacht; mit systematischem Totschweigen und Umdeuten rassistischer Gewalt, massiver Repression gegen Antifaschist_innen und durch die Einführung der berüchtigten „Extremismus-Klausel“. Hier scheint sich ein gesellschaftliches Klima zu manifestieren, in dem ganz normale Deutsche, ob sie sich selber als Neo-Nazis oder „besorgte Bürger“ verstehen, versuchen die Volksgemeinschaft wieder herzustellen.
Deren Argumente wurden an vielen anderen Stellen bereits auseinander genommen, auch die „Ängste und Sorgen“, oder die Klage darüber, dass sie von den Behörden nicht früh genug über eine neue Unterkunft in ihrer Nachbarschaft informiert worden seien, sind vorgeschoben und verschleiern den Rassismus nur dürftig.

Käffer wie Heidenau sind für alle, die sich nicht der Dorfgemeinschaft beugen wollen, aber noch das Privileg haben als Volksgenoss_in durchzugehen, schon schlimm genug. Für solche, denen das Fremde vermeintlich bereits an der Nasenspitze anzusehen ist, sind sie lebensgefährlich.
In diese feindliche Umgebung sendet der vermeintlich von dem Andrang überraschte Staat immer mehr Geflüchtete, die, wie im Falle von Heidenau, in einem leeren Baumarkt am Rande eines Industriegebiets im Dresdner Speckgürtel darauf hoffen müssen, dass ihnen der Mob nicht an den Kragen geht. Wie viel an der unzureichenden Unterbringung jetzt staatliches Versagen und wie viel Kalkül ist, um abzuschrecken, die Wähler_innen nicht zu verlieren, Geld zu sparen, oder Bilder zu generieren, die in der „Asyldebatte“ von Nutzen sein könnten, bleibt zu diskutieren – ist aber nachrangig.

Ähnlich wie in Lichtenhagen war die Polizei in Heidenau zwei Nächte in Folge dramatisch unterbesetzt. Circa 130 Beamt_innen standen rund 1000 wütenden Autochthonen gegenüber. Erst als in der dritten Nacht 300-400 Antifaschist_innen aus Dresden und anderen Städten anreisten, um dem deutschen Treiben vor Ort aktiv etwas entgegen zu setzen, war anscheinend genug Motivation und Personal auf staatlicher Seite vorhanden, um diese tätlich anzugreifen und nach kurzer Zeit zum Bahnhof zurück zu drängen. Mehrere Schwerverletzte waren die Folge.
Es ist also wieder einmal der Fall, dass Antifas und Antira-Aktivist_innen Refugees schützen, Solidarität zeigen und Hilfe organisieren; also Aufgaben übernehmen, die eigentlich staatlichen Vertreter_innen obliegen, wie es auch am LaGeSo Berlin, oder den Hamburger Messehallen seit Wochen der Fall ist. Dafür müssen sie mit ihrer körperlichen Unversehrtheit einstehen und zwar nicht nur gegenüber dem deutschen Mob, sondern sogar gegenüber den Ausübenden des staatlichen Gewaltmonopols. Immerhin haben inzwischen auch einige Rassist_innen in Heidenau Blessuren davon getragen.

Dennoch können wir davon ausgehen, dass die Rassist_innen diese Tage als Sieg feiern werden, und nichts motiviert mehr als Siege. Die Pogromstimmung Anfang der 90er hat aus Teilen der Nazi-Szene ein rechtsterroristisches Netzwerk entstehen lassen, was jetzt entsteht werden wir sehen müssen.
Bereits heute ist Abzusehen, dass das Anzünden von geplanten Geflüchtetenunterkünften Schule macht und Nachahmer_innen findet, denn fast jeden Tag brennt es inzwischen irgendwo. Es hat sich ein Wissen darum etabliert, wie eine Geflüchtetenunterkunft effektiv zu verhindern ist. Jedes brennende Haus sendet das Signal ganz ohne Bekenner_innenschreiben, die Tat spricht für sich selbst.

In diesen Zeiten lässt Horst Seehofer in Bayern Sonderlager für Menschen aus dem Balkan (vorrangig Roma) errichten, Thomas de Maizière denkt laut über mehr Abschreckung gegen Geflüchtete nach und gestern ließ Sigmar Gabriel verlauten, die Leute, die da in Heidenau randalierten, hätten „mit Deutschland nichts zu tun“. Nun war der SPD seit 1914 stets daran gelegen den Verdacht der „vaterlandslosen Gesellen“ gegen sich abzuschütteln, den randalierenden Deutschen jedoch das absprechen zu wollen, was sie im Kern ausmacht, um den Begriff selber positiv besetzen zu können, ist schon bemerkenswert.

Emanzipatorische Praxis darf sich nicht darauf beschränken, staatliche Aufgaben zu übernehmen, dort wo der Staat diese nicht leistet. Es ist jedoch ebenso nicht hinzunehmen, die Menschen, die es nach Deutschland geschafft haben ihrem Schicksal zu überlassen, sei es in Form von unwürdiger Unterbringung, Abschiebung oder Molotowcocktails. Im Angesicht des Versagens bzw. der Verweigerung des Staates für die Unversehrtheit derjenigen zu sorgen, die bei ihm Schutz suchen, ist es notwendig dem rassistischen Treiben dort Einhalt zu gebieten, wo es sich am ärgsten zeigt.

Denjenigen, die ihre hässliche Scholle Heimat auch noch gewalttätig deutsch halten wollen, gehören tatkräftig Grenzen aufgezeigt.
Es ist an der Zeit für Antifa-Strafexpeditionen!

sous la plage/Antigravitationistische Linke
25. August 2015

„Es ist lange, viel zu lange her, dass wir als die einzig wirksame Handlung etwas propagierten, was von den meisten despektierlich als „Strafexpedition“ bezeichnet wurde. Sie besagte, dass das Er- und Ausleben von Vernichtungsphantasien und -praktiken mit hohen Kosten verbunden sein muss. Erst wenn es auch dem blödesten aus der Meute (oder aus der Nachbarschaft) klar gemacht worden ist, dass der Kostenaufwand sichtlich höher läge als die Wonne und die Lebensfreude, die man sich von der Übung versprechen möchte, kann darauf gehofft werden, dass notgedrungen auf die Glückseligkeit verzichtet werden würde.“

Aus „Freitaler Geruch“ von Café Morgenland